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«Gesellschaft des Genug»: Mit Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller

Politik für ein suffizientes Verhalten

Am 12. Dezember 2024 fand der zweite Vortrag der Reihe «Gesellschaft des Genug» mit dem Titel «Politik für ein suffizientes Verhalten» statt. Dr. Jeannette Behringer, Leiterin des Schwerpunkts Suffizienz am ZKSD, eröffnete den Abend und stellte Frau Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller vor. Frau Töller ist Politikwissenschaftlerin und leitet seit 2009 das Lehrgebiet Politikfeldanalyse und Umweltpolitik an der FernUniversität in Hagen. Zudem ist sie Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen, kurz SRU. Der SRU ist ein unabhängiges Gremium mit verschiedenen Professor:innen, die die Bundesregierung in Deutschland in Sachfragen berät. Im März diesen Jahres erschien vom SRU das empfehlenswerte Diskussionspapier: «Suffizienz als „Strategie des Genug“: Eine Einladung zur Diskussion». 

Dr. Jeannette Behringer führt in den Abend ein. (Foto: René Inderbitzin).

In ihrem Vortrag erläuterte Frau Töller die zentrale Rolle der Suffizienz als dritte Nachhaltigkeitsstrategie neben Effizienz und Konsistenz. Während Effizienz und Konsistenz auf die Reduktion des Ressourcenverbrauchs durch bessere Technologien abzielen, fordert Suffizienz eine absolute Verringerung des Verbrauchs durch bewusste Einschränkungen in Konsum und Produktion. Sie betonte, dass Effizienzgewinne häufig durch sogenannte Rebound-Effekte zunichte gemacht werden und daher die Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz für eine Nachhaltige Entwicklung unerlässlich ist.

Um suffizientes Verhalten in der Gesellschaft zu fördern, benötigt es auf individueller Ebene auf Suffizienz ausgerichtete Geisteshaltung und Lebensstil. Suffizientes Verhalten muss aber auch politisch gestaltet werden und bedarf der kulturellen Verankerung (siehe Abbildung).

Drei Ebenen von Suffizienz (SRU, 2024, S. 31).

Darauf aufbauend präsentierte Frau Töller drei politische Ansatzpunkte, um suffizientes Verhalten zu fördern:

  1. Kontextbedingungen verändern
  2. Grundlegende Einflussfaktoren längerfristig entwickeln
  3. In der Entscheidungssituation grundlegende Einflussfaktoren aktivieren («Schubs»)

Mit dem ersten Punkt, der Veränderung der Kontextbedingungen (1. Ansatzpunkt), sind Verbesserungen der Rahmenbedingungen durch den Ausbau von Infrastrukturen (z.B. Velowege), Preisanpassungen und die Förderung suffizienter Angebote durch gesetzliche Vorgaben und Anreize gemeint.

Zu den grundlegenden Einflussfaktoren (2. Ansatzpunkt) zählen Bewusstseinsbildung und Wertewandel durch langfristige Bildungsmassnahmen und Aufklärungskampagnen sowie die Förderung gesellschaftlicher Normen, die Suffizienz als erstrebenswertes Verhalten etablieren.

Unter der Aktivierung grundlegender Einflussfaktoren in der Entscheidungssituation (3. Ansatzpunkt) sind Entscheidungshilfen durch «Schubser» (Nudges) gemeint. Hilfreich sind hier Anpassung von Standardeinstellungen (z.B. bei öffentlichen Verpflegungsangeboten vegetarisches Essen besser platzieren), und die Bereitstellung klarer und transparenter Informationen über die Umweltauswirkungen von Konsumentscheidungen.

Frau Töller präsentiert an Ihrem Vortrag politischen Ansatzpunkte, um suffizientes Verhalten zu fördern. (Foto: René Inderbitzin)

Anhand der Bereiche Ernährung und Wohnen illustrierte Frau Töller, wie politische Massnahmen konkret suffizientes Verhalten fördern können. Im Bereich Ernährung könnte der Fleischkonsum reduziert werden, indem der Mehrwertsteuersatzes für Fleisch auf den regulären Mehrwertsteuersatz (19%) angehoben und gleichzeitig der Mehrwertsteuersatz für Obst und Gemüse abgeschafft würde (1. Ansatzpunkt). Auch Bildungsprogramme und die Kommunikation der gesundheitlichen Vorteile bei einer vegetarischen Ernährung könnten helfen den Fleischkonsum zu reduzieren (2. Ansatzpunkt). Schliesslich kann die Anordnung von Lebensmitteln in Supermärkten und Kantinen oder eine einfache Ampelkennzeichnung als Information über die Umweltauswirkung von Produkten in der Entscheidungssituation als Anstoss für suffizientes Verhalten dienen (3. Ansatzpunkt). Für den Bereich Wohnen zeigte Frau Töller eine eindrucksvolle Grafik aus dem SRU-Gutachten (siehe Abbildung). Diese zeigt deutlich, dass zwar der Raumwärmebedarf pro Quadratkilometer und Jahr durch Effizienzsteigerungen massiv gesunken ist, nicht aber der Raumwärmebedarf insgesamt. Dies liegt daran, dass die Wohnfläche pro Kopf stetig zugenommen hat und die Effizienzgewinne «aufgefressen» hat. Bei diesem Phänomen handelt es sich um den bereits oben erwähnten Rebound-Effekt. Politische Massnahmen, die die Wohnraumsuffizienz fördern könnten, wären beispielsweise Belegungsvorschriften für Wohnungen, flexible Wohnkonzepte, andere Bebauungspläne, aber auch Änderungen der sozialen Normen, die auch das Ideal kleinerer Wohnungen favorisieren.

Entkoppelung in den Sektoren Wohnen und Verkehr in Deutschland (SRU, 2024, S. 41).

Nach dem Vortrag folgte eine rege Diskussion mit dem Publikum. Besonders intensiv wurden Fragen zur sozialen Gerechtigkeit im Rahmen einer Transformation hin zu einer suffizienten Gesellschaft diskutiert. Auch die Frage, warum in der Praxis die Umsetzung suffizienter Politik bisher nur schleppend vorankommt, wurde kritisch hinterfragt. Diese Beiträge unterstrichen die Vielschichtigkeit und die gesellschaftlichen Herausforderungen, die mit dem Thema verbunden sind.

Angeregte Diskussion im Anschluss zum Vortrag von Frau Töller. (Foto: René Inderbitzin)

Empfehlungen zum Weiterlesen
SRU (2024). Suffizienz als „Strategie des Genug“: Eine Einladung zur Diskussion.

SRU (2023). Politik in der Pflicht: Umweltfreundliches Verhalten erleichtern.

Die dritte und letzte Veranstaltung in der Vortragsreihe «Gesellschaft des Genug» (die Vorträge sind kostenlos und öffentlich):